Pfeifende Pfeifen auf Schalke

Schalke-Trainer Huub Stevens ärgert sich über die Fans
Huub Stevens war sauer auf einige Zuschauer. Foto: Produnis (CC BY-SA 3.0)

Schalke 04 hat einen ordentlichen Saisonstart hingelegt: drei Siege, ein Unentschieden in Hannover und eine Niederlage gegen den FC Bayern ist in etwa das, was man erwarten konnte – hinzu kommt der 2:1-Sieg in der Champions League gegen Olympiakos Piräus. Und doch herrschte rund um die Partie gegen Mainz 05 ein merkwürdiges Gegrummel, dass bald in offene Unzufriedenheit und entsprechendes Pfeifen umschlug. Zielscheiben waren Klaas-Jan Huntelaar nach einem 65-Meter-Rückpass, vor allem aber der Empfänger dieses Passes, Torhüter Lars Unnerstall. Sein Vergehen bis dahin: Er wirkte bei Rückpässen oft unsicher und seine Abschläge und Abspiele fanden zu selten die Mitspieler. Und die Zuschauer ließen ihn deutlich hören, was sie davon hielte. Schalke führte zu diesem Zeitpunkt übrigens mit 1:0.

Schalke-Torwart Lars Unnerstall
Besonders auf Lars Unnerstall konzentrierte sich der Zorn des Pöbels. Foto: DerHans04 (CC BY-SA 3.0)

Das Verhalten der Zuschauer wiederum brachte Schalke-Trainer Huub Stevens gehörig auf die Palme: „Wenn wir so einen jungen Torwart haben, dann möchte ich, dass er mehr Unterstützung bekommt – und keine Pfiffe“, schimpfte er am WDR-Mikrofon. So weit, so nachvollziehbar und Stevens hätte an dieser Stelle besser aufgehört zu reden. Doch wenn er einmal in Fahrt ist, ist der Niederländer deutlich schwieriger zu bremsen als derzeit die Schalker Offensive. Und schob deswegen noch einen Satz nach: „Kompliment an die Nordkurve – die hat nicht gepfiffen. Die anderen haben nicht so viel Ahnung von Fußball.“

Nun ist Publikumsbeschimpfung ja nie so ein schlauer Schachzug – auch und gerade auf Schalke nicht – und die Reaktionen ließen nicht lange auf sich warten, zum Beispiel im waz.de-Forum. Meine Lieblingsauszüge:

16:00 Abfahrt zum Stadion
18:35 Ankunft am Stadion (172KM)
18:55 etwas gegessen 15 Euronen
19:25 inne Arena 45 Euronen
20:00 Anstoss gg Mainz (Topteam)
21:50 Abpfiff 3:0
00:20 Ankunft zu Hause (172KM) 45 Euronen
Ach so, jetzt erwartet Herr Steven, das ich glücklich bin hab ja ein Topspiel gesehen und müsste DANKBAR sein das ich nicht nur Nerven sondern auch noch 105 Euronen gezahlt habe. Nee Huub, ich kann gg Unnerstall meine Meinung darstellen, ich hab auch nicht gepfiffen, sondern eine Entscheidung getroffen………..
nach 41 Jahren Schalke, bei jedem Wetter, bei jedem Gegner (auch Liga 2) war ich mit wenigen ausnahmen in GE doch jetzt ist Schluss. beschimfen kannst Du die verarcher in DEINEM Team, ich lass mir das jedenfalls nicht gefallen.

Ich finde es erschreckend wie Berufsfussballspieler,die irrwitzige Summen verdienen hier von manchen noch in Watte gepackt werden.
Wenn ich auf der Arbeit schlechte Leistungen bringe werde ich nicht ausgepfiffen (egal ob jung oder alt)sondern verliere irgendwann meinen Job

Ich glaube der einzige der keine Ahnung von Fußball hat ist Herr Stevens persönlich. Ich würde mich sehr gerne einmal mit diesem Herrn persönlich treffen und ihm erklären das ich und viele Millionen Menschen morgens aufstehen müssen und immer 100 % Leistung erbringen müssen. Denn sonst sitzen die meisten einige Zeit später auf der Straße.

Diese neidzerfressenen Kommentare kann ich echt nicht mehr hören. Liebe Kommentatoren, ich verrate euch mal ein Geheimnis: Niemand liefert immer 100% Leistung, jeder hat gute und schlechte Tage, also hört auf, Menschen, die das überhaupt nicht interessiert, von eurem harten Leben vollzujammern. Wir würde sich das auf eure Leistung auswirken, wenn ihr unter Dauerbeobachtung stündet und bei jeder Unsicherheit ausgepfiffen würdet?

Und dass schlechte Leistungen bei Fußballern eher toleriert werden als bei anderen, ist doch auch ein Mythos. Wer seine Leistung dauerhaft nicht bringt, steht auch irgendwann auf der Straße, der Druck und die Auslese sind eher noch erbarmungsloser als anderswo.

Kevin Kuranyi, früherer Schalke-Stürmer
Kevin Kuranyi musste jahrelang damit zurechtkommen, von Schalke-Fans ausgepfiffen zu werden. Foto: Olga Stiepińsz (CC BY-SY 3.0)

Die Idee, einem verunsicherten Torwart durch Pfeifen mitzuteilen, dass man von ihm wenig begeistert ist, ist ohnehin bescheuert. Was soll das bringen? Der einzige Effekt ist, dass er noch unsicherer wird, das sollte doch eigentlich niemand wollen, der sich Fan nennt. Auf Schalke ist es aber leider eine unselige Tradition, dass einzelne vom Publikum gnadenlos heruntergemacht werden. Victor Agali wurde teils schon beim Verlesen der Aufstellung ausgepfiffen und jahrelang war Kevin Kuranyi bevorzugtes Ziel des Pöbels – obwohl er vergleichsweise konstant lieferte.

Mein Lieblingskommentar zu der ganzen Causa war übrigens folgender:

Unnerirdisch will ich schlichtweg nicht in einem CL-Finalspiel sehen….

Die Angst kann ich dem Mann nehmen, das wird in den nächsten Jahren nicht passieren.

Disclaimer zum Schluss:

Ich bin von den bisherigen Saisonleistungen auch nicht begeistert, gerade in der Offensive ist mir das Schalker Spiel zu uninspiriert und statisch. Aber erstens sind die Spieler teils sehr jung (Draxler, Holtby) oder waren sehr lange verletzt und müssen erst in die Mannschaft hineinfinden (Afellay). Überzeugend war es nur in Hannover, allerdings wurde ausgerechnet da nicht gewonnen.

Offensichtlich sind aber die Ansprüche aus irgend einem Grund schon wieder ziemlich hoch und dementsprechend wird an den Verantwortlichen herumgemäkelt. Dabei machen die einen guten Job. Gerade Horst Heldt hat nach der finanziell desaströsen Ära Magath ja vor allem den Auftrag, die Kosten zu senken und schafft das bisher ziemlich überzeugend und ohne sportlichen Qualitätsverlust. Fast alle jungen Leistungsträger sind langfristig gebunden, mit Farfan wurde ein enorm wichtiger Spieler gehalten und mit Neustädter eine herausragende Verstärkung geholt, von Afellay noch gar nicht zu reden. Die Mannschaft ist im Kern sehr jung und hat großes Potenzial – braucht aber auch Zeit dieses auszuschöpfen. Pfiffe sind da nicht wirklich hilfreich. Und nur der Kauf einer Eintrittskarte ist mir als Argument für Pfiffe auch reichlich dünn.

Hinweis: Der letzte Satz wurde auf Anmerkung von Torsten Wieland etwas umformuliert und macht jetzt hoffentlich deutlicher, was ich sagen wollte.


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Kommentare

4 Antworten zu „Pfeifende Pfeifen auf Schalke“

  1. Avatar von Herr Wieland

    „Und nein, mit einer Eintrittskarte kauft sich auch niemand das Recht dazu.“

    Ob mit Eintrittskarte oder selbst bei freiem Eintritt: Du sprichst Zuschauern tatsächlich das „Recht“ ab, sich zu äußern?

    1. Avatar von Sebastian
      Sebastian

      Nein, ich lehne nur das Argument ab, dass man doch Geld bezahlt hat und deswegen machen kann, was man will. An der Formulierung sollte ich wohl noch arbeiten.

  2. […] Pfiffe gegen eigene Spieler habe ich auch schon kritisiert, aber der Rest ist ausgemachter Blödsinn. Eigentlich ist mir die Ultra-Bewegung nicht unsympathisch, ihre großkotzige Attitüde ist es aber schon. Die Ultras sehen sich als einzig wahren Fans und Bewahrer Fußballkultur, die einzig und allein für Stimmung sorgen. Was für ein Schwachsinn. […]

  3. […] selten durch überzeugende taktische Leistung, von Offensiv- bzw. Gegenpressing gar nicht zu reden. Eine offensive Handschrift war zu selten erkennbar, es fehlte ein taktisches Gerüst. Selbst der grandiose Derbysieg gegen den BVB war zu großen […]

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